Wer mit offenen Augen durch die Stadt läuft, kann wenn er nicht nur den “Blick” liest, sondern denselben auch mal höher richtet, manches entdecken was weiter nicht beachtet wird. Lenken wir einmal die Aufmerksamkeit nur auf die Fassadenmalereien.

 

Viktor Surbek: “Beginn der Zeit”, 1930, Zytglogge West

Wir stehen vor der Westfassade vom Zytglogge. Wir betrachten das Zifferblatt der Uhr und die darum angelegte Malerei.  In der linken unteren Ecke steht mächtig in einer Ritterrüstung der Erzengel Gabriel mit erhobener Schwurhand. In der rechten Ecke stehen und kauern voller Furcht die beiden ersten Menschen. Sie schämen sich ihrer Nacktheit und Eva blickt (schuldbewusst?) zurück, während Adam zur oben drohenden schwarzen Figur mit der Sense schaut. Er sieht bereits den Tod und das Schicksal der Menschheit.

Der Maler Viktor Surbek hatte 1930 den Auftrag das Zifferblatt  neu zu malen. Er stellte mit seinen gemalten Szenen den “Beginn der Zeit” dar und bezog sich damit thematisch auf das Figurenspiel der anderen Seite. Dort läuft ja zur Besinnung der Vorübergehenden, der Fasnachtsreigen mit dem Narr, dem Tod und Kronos, dem Herrn der Zeit mit der Sanduhr.

Kurze Info zum Maler: An der Gewerbeschule Bern lernte Surbek durch Ernst Linck die Malerei Ferdinand Hodlers kennen und entschied sich selbst für die Malerei.  Er wurde ein erfolgreicher Künstler.  In seiner Malschule in Bern unterrichtete er von 1915 bis 1931 unter anderem Serge Brignoni und Max Böhlen. Von Viktor Surbek gab es im Eingangsbereich des Tierpark-Vivariums ein Wandbild wo, wie ich mich erinnere, ein Knabe von einem Felsvorsprung einem weiter unten stehenden Drachen etwas zum Fressen hinreicht. Das Bild wurde beim Umbau fachgerecht abgelöst. Es wird seither im Keller des städtischen Werkhofs aufbewahrt, weil man keinen passenden Platz gefunden hat. Schade!

Friedrich Traffelet: “Marktszene”, Bim Zytglogge 1

Nun stehen wir auf der viel beachteten Seite beim Zytglogge, aber wir blicken nicht zum Figurenspiel, sondern links davon zum Haus Bim Zytglogge 1. In dem Haus wurde 1861 die Drogerie Scheidegger gegründet. 1949 kam der Umbau zur Apotheke und Drogerie Scheidegger, die von Walter und Dora Scheidegger geführt wurde. Sie wurde 1994 als Bären-Apotheke durch Lukas und Nicole Schwander übernommen.

Über der alten Apotheke ist ein Bild mit einigen altertümlich gekleideten Personen zu sehen. Aus seiner offenen Auslage bedient ein Händler seine Kunden, allerdings sind keine Waren zu sehen. Allerlei Leute stehen eng gedrängt herum, auf dem Dächli buckelt ein magerer Moudi und über dem Fenstersturz klebt eine Taube. Rechts ist einem Bauern sein Huhn entwischt und links versuchen zwei Buben einen Dackel zurück zu halten der sich am Mantel eines anderen Knaben festgebissen hat. Die Frage ist warum der Maler keine Waren auf die Verkaufstheke gemalt hat? Vielleicht warten die alle auf eine neue Lieferung.

vermutlich Rudolf Münger: “Droguerie Scheidegger”, Postkarte um 1910

Auf einer Fotografie um 1910 war dort noch ein anderes Bild in neugotischer Manier. Rankenwerk umrahmte die Beschriftung einer “Droguerie”  mit dem Bild eines Mannes darüber. Vermutlich wurde die Malerei von Rudolf Münger, dem wir noch begegnen werden, geschaffen. Das jetzige Wandbild malte Friedrich Traffelet 1933 in seiner humorvollen Art an die Fassade.

Ernst Linck: “Bannerträger”, Brunnerhaus Hotelgasse

Das Eckhaus, genannt Brunnerhaus, gleich vis à vis an der Hotelgasse sieht gotisch aus, ist es aber nicht. Ein gewisser Brunner liess 1905/07 das Haus vom Architekten Karl Indermühle in schulmässiger Neugotik “restaurieren”. Gleichzeitig malte Ernst Linck auf die leere Fassade einen Venner mit der Berner Regimentsfahne ebenfalls in historischem Stil. Von Niklaus Manuel ist eine ähnliche Zeichnung erhalten geblieben. Ernst Linck hat einige Kirchenfensterentworfen, beispielsweise in Wimmis und Meiringen, in Bern war er neben seinen Malkursen an der Gewerbeschule für die Restauration und Neufassung der Brunnenfiguren zuständig. Sein Sohn Walter Linck wohnte mit der Keramik-Künstlerin Margrit Linck im Reichenbach an der Aare. 

Fritz Traffelet: “Dorfchilbi”, Rückwand Kino Capitol,  Rathausgasse

Wenn wir durchs Zibelegässli weiter gehen, treffen wir in der Rathausgasse an der rückseitigen Wand des ehemaligen Kinos Capitol auf ein weiteres Werk von Fritz Traffelet. Zur Zeit sind Untersuchungen zur Restauration des Gebäudes im Gang. Der erhaltenswerte Innenausbau soll in neu geplanten Räume integriert werden. Auf dem Bild oben wurden Teile vom Verputz entfernt und man sieht, dass die spitzauslaufenden Laubenbögen mit Backsteinen unterfangen sind. Das wird noch zu reden geben. Wir wollen aber das Wandbild betrachten: Da scheint es eine Dorfchilbi zu geben. Links spielen drei urchige Musiker mit Bassgeige, Klarinette und Handorgele zum Tanz. Auf der Bühne schwofen drei Pärchen, ein Soldat, ein Bauer und ein Feuerwehrmann mit ihren jeweiligen Bräuten. Gleich daneben quanten sich drei Kinder bei einer alten Frau mit Bauchladen etwas billiges Gänggelizügs. Ein Mädchen an der Hand der Mutter möchte gerne auch zu den anderen Kindern aber die beiden Frauen tratschen unbeeindruckt weiter Unter dem Marktstand ein Zwirbelirad und vier weitere Mädchen. Eines hat ihr Bäbi dabei und wird vom Vater an der Hand gehalten. Der Dackel den wir schon vom Zytglogge her kennen scheint sich mit dem Jagdhund, der wohl zum Vater mit der gsunntigten Aalegi gehört, anfreunden zu wollen Zuletzt kommt noch ein Knabe mit einer Berner Regimentsfahne ins Bild. Über allem, hinter der Blache des Marktstands, dreht ein Fotograf die Kurbel einer hölzernen Filmkamera. Ob der Film den er da drehte, im Kino Capitol jemals aufgeführt wurde, ist nicht bekannt. Es ist zu wünschen, dass die Malerei bei der anstehenden Restauration geschützt und konserviert wird.

Fritz Traffelet: Schützenbilder , Waffengeschäft Aarbergergasse

Bleiben wir bei Fritz Traffelet, er war ein Militärfan würde man heute sagen. Während seiner Dienstzeit  war er Militärmaler und erlangte grosse Bekanntheit. Er schuf Bilder für die Landesausstellung, Soldaten-Portraits und Buchillustrationen, sogar General Guisan sass ihm Modell.  Mit dem Bild oben wurde ein Waffengeschäft in der Aarbergergasse dekoriert. Man kann es vom Fenster des gegenüberliegenden Restaurants Grock gut sehen.

Nun wollen wir noch die Werkstatt des Meisters suchen, was heisst suchen, jeder kennt sie. Im Parterre des Eckhauses an der Junkerngasse 22 hatte er seine Butigg.

Fritz Traffelet: Trauer- Tauf- und Hochzeitszug an der Werkstatt

Die Schattenrissmalerei stellt den Lauf des Lebens dar. Kurz gesagt: Ein Leichenzug begegnet einem Tauf- und Hochzeitszug. Die diversen Figuren zu beschreiben würde den Rahmen sprengen. Mit Ornamenten eingefasst steht ein Spruch an der Wand über der Szenerie:

Aus Tauf- Hochzeits- und Grabgeläut
mischt sich der Klang des Lebens.
Woher Wohin Wozu?
Du fragst vergebens!

Mit dem Spruchband unter der Szene wird deutlich gemacht, wer da wirkte:

Hier herrschen Schönheit und Geschmack 
Hier riecht es angenehm nach Lack
Hier wird gemalt in Oel und Kleister: 
Friedrich Traffelet Malermeister

Rudolf Münger: Zeerlederhaus, 1906,  Junkerngasse

Gleich gegenüber an der Schattseite des Hauses Junkerngasse 51, dem Zeerlederhaus ist die ganze Fassade mit Ornamenten und Wappen übermalt. Es war der schon erwähnte Rudolf Münger, der dieses Bildwerk an dem unter nationalem Denkmalschutz stehenden Haus schuf. Die Gassenfront dieses spätgotischen Hauses hat Münger 1897 mit dem Besitzerstammbaum von 1335 bis 1806 bemalt. 1806 übernahm Ludwig Zeerleder, ein Bankier und Politiker, das Haus in dem die Familie seiner Mutter Sophie Charlotte von Haller, einer Tochter des Albrecht von Haller lebte. Mit allen den Besitzern und Vorbesitzern wollen wir uns nicht weiter aufhalten, der Maler Rudolf Münger dagegen ist beachtenswert.

Er war vom gelernten Flachmaler, nach verschiedenen Weiterbildungen im In- und Ausland, zum angesehenen und vielbeschäftigten Meister geworden. Wir kennen von ihm die Buchillustrationen im “Röseligarten” und “Heidi”, seine Abbildungen von Trachten werden noch heute als Vorlage verwendet. Daneben hat er für Appenzell Wappenscheiben entworfen und in der Zürcher Neumünsterkirche ein Wandbild geschaffen. Im Berner Kornhauskeller ist dank dem heftigen Widerstand der Denkmalpflege «zweifellos Müngers Hauptwerk und gleichzeitig das grösste Berner Bildwerk des 19. Jahrhunderts» erhalten geblieben. Die jetzigen Pächter hätten die ganze Einbauten mit der Galerie und den halbrunden Brüstungen entfernen wollen. Auch das grosse Fass hätte weg müssen und die Bilderfolge Müngers wäre weiss übermalt worden. Die ganzen «Wappendarstellungen, Figuren nach historischen Vorlagen, Berner Volkstrachten, Ornamente nach Blumen und Tieren, symbolistische Medaillons sowie Volksliedstrophen und Sprüche in gotischer Schrift» wären verschwunden und damit ein wichtiges Zeugnis bernischer Malerei zwischen Historismus und Jugendstil. Kein sakral-festlich wirkender Raum, wie er den Betreibern vorschwebte ist entstanden, der ehemalig staatliche Weinkeller wurde nicht zur Kirche hochstilisiert. Es ist nun ein gepflegtes Gastronomielokal und wer es sich leisten kann wird dort gut bedient.

Zitate: Brigitte Bachmann-Geiser in “Sikart

Johann Baptist Isenring: “La grande cave du magasin à blé” um 1830

Über die Eröffnung des Kornhauskellers schreibt Otto v. Greyerz 1899 mit  einer Würdigung der Malerei Müngers:

https://www.e-periodica.ch/cntmng?pid=dis-001:1899:3::777

Nach der Abschweifung zum “Chübu” suchen wir noch ein letztes Wandbild am untersten Punkt der Altstadt auf.

Oskar Weiss: “Gaukler”, Wandbild am Läuferplatz, Ecke Mattenenge

Am Eckhaus zwischen Mattenenge und Untertorbrücke sehen wir ein Bild von Oskar Weiss. Ein Gaukler zieht einen Zweiradkarren auf dem in einem Käfig ein Bär sitzt. Kinder umtanzen das lustige Gespann. Sie haben der Mutter “Pfannedechle” geklaut und begleiten damit den kakophonischen Umzug. Erheiternd soll es sein, denn der Schausteller übt gleich mehrere Funktionen gleichzeitig aus. Er zieht den Karren und musiziert dabei gleichzeitig mit mehreren Instrumenten. Um den Hals hat er ein Gestell mit einer “Schnurregiege”, am linken Arm sind die Schläger für die Trommel auf seinem Rücken befestigt, die Tschinellen oben drauf werden mit einer Schnur vom rechten Fussknöchel bedient, die linke Hand kann eine Ballhupe tröten lassen und beide Fussknöcheln umschlingen Schellenbänder. Ein ganzes Orchester in einer Person, doch nicht genug – mit der Schnur am linken Knöchel wird auch der Bär einbezogen. Über eine Umlenkrolle am Käfig wird ein Rüebli an der Nase des Bären vorbei gezogen. Eines hat er schon erwischt. Wir sehen einen gezähmten Bär ohne Nasenring. Anders als bei den vielen bedauernswerten Artgenossen, die als Tanzbären zur Belustigung des Publikums mit Ketten am Nasenring nur durch schmerzhafte Qual zum Tanzen gebracht wurden. Im Bärepark dürfen die Tiere heute wesentlich bequemer leben.

Friedrich Preller d. Ältere: “Der Bärenführer”, 1824, Weimarer Schloss

Oskar Weiss hätte keine tierquälerische Szene gemalt. Seine Bilder und Karikaturen sind immer voller harmlosem Humor. Zahlreiche Kinderbücher und Plattencover wurden mit seinen Entwürfen illustriert, z.B. “Ds Hippigschpängschtli” vom Peter Räber. Oskar Weiss war in jungen Jahren einer von den “Berner Trouvères” und trat mit ihnen in den Kellertheatern auf. Über seine bewegte Jugendzeit ist mehr hinter diesem Link zu lesen:

http://www.churerzeitung.ch/pages/archive/201603/portraet.pdf

Nun ist der kleine Stadtrundgang mit Bildbetrachtung zu Ende, ohne Eintrittsgebühr für ein Kunstmuseum und ohne den Anspruch auf hohen Kunstgenuss, dafür mit Einblick in Geschichte und Geschehen. Einige Maler der zweiten und dritten Reihe durften ihr Können zeigen.

Bilder: aktuelle Aufnahmen von Erwin Weigand

2 Comments

  1. Das ist leider so. Hätte man da nicht wie bei den ABC-Bildern im Schulhaus Wylergut den Kulturgüterschutz bemühen müssen? Jetzt ist dort eine nichtssagende Sandsteinfassade die so niemals dort war. Ich bedauere die “Verschlimmbesserung” ebenfalls.

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