Links liegen gelassen – die Brunngasse
Stadtplan
Wenn man den Plan der Altstadt vom Zeitglockenturm her betrachtet, bildet rechter Hand die Herrengasse den rechten Flügel, den linken Flügel übernimmt weniger vornehm die Brunngasse. Während die Herrengasse oben beim Casino beginnt und unten beim Münster endet, beginnt die Brunngasse oben bei einem Chäsladen und endet unten am alten Schlachthaus.
Chäsegge
Wer vom Casinoplatz durch das Hotelgässchen am Zytglogge vorbei, die ostasiatischen Gäste missachtend, weiter durch das Zibelegässchen geht, steht vor dem oberen Ende der Brunngasse. Die Brunngasse stösst dort auf die Metzgergasse (pardon jetzt: RATHAUSGASSE), deren rechte Ecke bildet die Brunnegg, das nach Aussage der Besitzer seit seiner Sanierung 1982, eines der markantesten Häuser der Berner Altstadt ist. Die andere Ecke – die „Chäsecke“, belegt seit 1926 die 1894 von Oberdiessbach nach Bern gezogene Familie Heugel. Erst vor wenigen Jahren übergab der letzte seines Geschlechts – der Dieter Heugel, das Geschäft an jüngere Pächter.
Altplan
Schauen wir zunächst zurück in die Vergangenheit. Die Brunngasse hat ihren Namen vom ältesten, noch laufenden Quellbrunnen, dem Stettbrunnen an seiner unteren Hangkante. Die Häuserreihe an der Aussenseite zum Aarehang steht vermutlich auf Schutt von früheren Brandruinen. Der verheerende Stadtbrand von 1405 ging ja an der Brunngasse an, wie Justinger berichtet. Die Häuser der Innenseite wurden erst viel später gebaut, denn dort waren die Hinterhöfe der Metzgergasse mit Stallungen und Hofplätzen. Noch 1835 muss das so gewesen sein, denn damals wurde das Grundstück an der Ecke Schlossergässchen /Brunngasse als „Remise mit Stall, Höfli und Baugrube“ verkauft. Dort wurde 1842 das noch heute bestehende Wirtshaus gebaut, welches der Lohnkutscher und Artillerist Friedrich Zimmermann als Wirt übernahm und sinnigerweise „Zimmermania“ taufte.
Das Restaurant Zimmermania mit dem späteren Bundesrat Jakob Stämpfli
Aus der Webseite des Zimmermania:
«Die Zimmermania wurde bald das Stammlokal der damaligen Progressiven, dh. der jungen Radikalen (Freisinnigen), die bei Prof. Wilhelm Snell studiert hatten oder noch studierten. Es darf behauptet werden, dass die neue Staatsverfassung Berns von 1846 mindestens teilweise dort entstanden ist, da deren Hauptverfasser, der junge Fürsprech Jakob Stämpfli, meistens nicht in seinem Büro, sondern in der Zimmermania anzutreffen war.
Den politischen Gegnern der Radikalen galt die Zimmermania als Brutstätte des Übels. Der Konservative Karl Howald, Pfarrer am Inselspital und Sekretär der Bibelgesellschaft, bezeichnet sie als Kneipe der liederlichen und ausschweifenden Burschen.
Die radikale Studentenverbindung der Helveter ernannte 1861 die Zimmermania zu ihrem Stammlokal. Nach dem Tod des Wirts übernahm seine Witwe 1862 die Wirtschaft. Die Front zur Gasse ist nun doppelt so breit. 1868 erwarbt der Bierbrauer Ludwig Baumeister (früher Brauerei zum Maulbeerbaum am Hirschengraben) das Haus und setzte neue Pächter ein. Er setzte durch, dass nur noch das „Beeri-Bier“ seiner Brauerei ausgeschenkt wurde. Das hattte zur Folge, dass die Helveter wegen „gänzlicher Abwesenheit von trinkbarem Bier“ in ein anderes Stammlokal auszogen. Damit verlohr die Zimmermania ihre Bedeutung. Sie wurde eine einfache Altstadtwirtschaft.
Zum Glück blieb sie unverändert. So konnte sie 1972 problemlos als schönes Lokal im „Dällebach Kari“- Film dienen.»
Nun hat sich das Zimmermania von der einfachen Gastwirtschaft zu einem gehobenen Gastrobetrieb entwickelt, und nur wenige Leute wissen um seine Geschichte.
Velohändler
Im Hof hinter dem Brunngassbrunnen hat ein Velohändler seine Werkstatt und in der Einstellgarage neben dem Zimmermania war noch vor nicht langen Jahren eine Autogarage tätig, der Ausleger kündet davon. An der Schattseite der Gasse sind noch einige weitere Garagentore zu sehen, aber ausser dem asiatischen Restaurant gibt es sonst nichts Bemerkenswertes.
Interessanter ist die Sonnenseite.
Apiarius
Die Gedenktafel fertigte Etienne Perincioli, der als Bildhauer am Casino und Bellevue arbeitete und mehrere Brunnenskulpturen schuf.
Das Druckzeichen des Matthias Apiarius (Bienenvater) zu Bern. Bär und Bienenstock. Der Bär klettert am Baum empor, um den Honig im Spalt zu suchen, links von fünf, rechts von sieben Bienen umschwärmt. Rechts ausser den Bienen noch eine Spinne, sowie einige Vögel. Am Fuss ein hebräisches Buch. Ein Klöpfel hängt vom Baume vor dem Spalt. Eine naiv gebaute Bärenfalle.
Oben links beginnt ein kurzes Laubenstück, aber das endet bereits nach zwei Häusern. Hier in diesem Haus hatte 1537-1547 der erste Buchdrucker Berns, Matthias Apiarius (deutsch Biener), seine Offizin, so wird die Druckerwerkstatt genannt. Der heutige Bau stammt vom Ende des 17. Jahrhundert. Über dem Laubenbogen wurde 1937 eine Gedenktafel angebracht. Der deutsche Matthias Apiarius war von Nürnberg über Strassburg und Basel nach Bern gekommen. Er wurde bekannt durch seine Lieddrucke im Umfeld der Reformationskriege. Nach seinem Tod übernahm sein Sohn Samuel die Druckwerkstatt und der andere Sohn Siegfried die Buchbinderei. Samuel war wohl etwas zu forsch bei seiner Tätigkeit, denn er war Anfeindungen ausgesetzt. Wikipedia meint:
«Am 12. April 1559 wurde er wegen einer grundlosen Verleumdungsklage des Tuchmachers Philipp Sinner für vier Jahre aus Bern verwiesen – sein Bruder Siegfried führte während dessen die Werkstatt weiter – und gründete 1560 ein Verlagsgeschäft in Basel. Kaum zurück in Bern, wurde er 1564 wegen des Druckes von Schmähliedern auf die katholischen Orte erneut für zehn Jahre aus Bern verwiesen. Er ging nach Solothurn und gründete dort 1564/1565 die erste Buchdruckerwerkstatt. Doch schon 1566 zog er weiter nach Basel, wo er bis zu seinem Tod blieb. Dort druckte er in seiner Werkstatt in den „Truckerstuben zum Feigenbaum“, die schon seit 1475 erwähnt sind, Kalender, etliche Zeitungen, amtliche Bekanntmachungen, aber auch – wie sein Vater Matthias – zahlreiche Volkslieder. Sein Signet war der Bär mit Bienenstock, das Werkszeichen seines Vaters.»
Er ehelichte eine vermögende Basler Bürgersfrau und erheiratete den Besitz der Liegenschaft Feigenbaum (Steinenvorstadt 50/52). Basel musste wohl dreissig Jahre nach dem 2. Kappeler Landfrieden weniger Rücksicht auf die Kontrahenten nehmen.
In Bern blieb sein Bruder Siegfried weiter als Buchbinder, Formschneider für Druckstöcke und als Stadtpfeifer tätig. «Er heiratete 1553 Klara Wäber. Sie hatten eine Tochter und drei Söhne. Siegfried Apiarius soll seiner Ehefrau kein guter Gatte und den Kindern kein guter Vater gewesen sein. Er starb in der zweiten Hälfte des Jahres 1565 – vermutlich an der Pest, der damals im Kanton Bern etwa 137.000 Menschen zum Opfer fielen.»
Elendenherberge
Gleich nebenan an der Brunngasse bestand seit 1345 die Elendenherberge. «Stifter waren vermutlich die Brüder Rudolf und Heinrich Seiler. (Heinrich Seiler war der Ehemann von Anna Seiler, der Stifterin des Inselspitals) Zweck des Spitals war die Beherbergung und Pflege „Elender“, d. h. fremder Durchreisender, zunächst vornehmlich von Heiliggrabfahrern, dann der St. Jakobspilger; darum kam später für die Anstalt der Name St. Jakobspital auf. Beherbergt wurden aber auch Kindbetterinnen und Kranke; ferner wurde 1474/75 eine Kerkerzelle eingebaut. Die Verwaltung entsprach mit Vogt und Meister derjenigen der drei andern städtischen Spitäler. Am 27. Mai 1531 verfügte die
Vennerkammer die Aufhebung der Anstalt und überwies das ablösbare Zinsgut dem Oberen Spital.»
In diesem Haus an der Brunngasse 68 wurde dann die “Meitlilehr” eingerichtet, daraus wurde die 1836 gegründete Einwohnermädchenschule.
Kreissaal
1642-1798 befand sich die obrigkeitliche Salzkammer im Haus Brunngasse 48. Später war in diesem Haus die Akademische Entbindungsanstalt. Am 1. Dezember 1781 begann an der Insel der erste dreimonatige Hebammenkurs an der ersten Entbindungsanstalt Berns. 1834 zog sie ins Hinterhaus des Gebäudes Brunngasse 48 (Brunngasshalde 63). Seit 1997 befindet sich im Haus an der Brunngasshalde die angesagte Bar “Kreissaal”, die mit ihrem nach der alten Orthographie geschriebenen Namen an die ursprüngliche Bestimmung des Gebäudes erinnert.
Grümscheler
Neben dem schon erwähnten Velohändler, finden sich nur noch wenige Handwerksbetriebe in der Gasse. Da ist einmal ein kleines und feines Goldschmiedeatelier und weiter unten hat sich ein Nähmaschinen-Mechaniker eingerichtet. Kleine Lädeli mit allerlei Krimskrams kämpfen ums Überleben in der wenig frequentierten Gasse und darum ist dort das Wohnen attraktiv.
Bevor wir unten an der Gasse nach rechts ins Metzgergässchen abbiegen, machen wir einen Abstecher über einige Stufen hinunter zum Stettbrunnen.
Stettbrunnen
Der Stettbrunnen war lange die einzige Quelle des Quartiers für sauberes Wasser. In dem langen Holztrog wurden Tiere getränkt, Wäsche gewaschen und die Metzgerknechte der Schaal wuschen dort die Innereien der geschlachteten Tiere. Das Abwasser aus den Häusern und vom Schlachthof wurde in den Ehgräben gesammelt und regelmässig mit dem Wasser des Stadtbachs in die Aare hinuntergespült. Im Gassenpflaster ist die Granitplattenabdeckung des Stadtbachs sichtbar, darin sammelt sich heute das Regenwasser.
Pflaster
Das schmale Metzgergässchen sollte auf keinen Fall mit abgestellten Sachen überstellt werden, den Feuerwehrmänner dient dieser Engpass als Herausforderung wenn sie mit dem TLF und der Drehleiter dringend in die Brunngasse sollten.
Metzgeregge
Schliesslich mündet das Metzgergässchen und damit die Brunngasse zwischen Rossmetzg und Altem Schlachthaus in die Rathausgasse.
Über die Gasse und vor allem ihre Bewohnern gäbe es noch manches zu berichten. Künstler wie der Holzschneider Emil Zbinden oder der Maler der Arbeiterschaft Paolo müssen unerwähnt bleiben. Mit dieser Beschreibung darf ich eine der wenig bekannteren Gassen zeigen. Die Hintergründe sind aus dem Hist. top. Lexikon der Stadt Bern und anderen Quellen bezogen.
Alle Fotos: der Autor E.W.