Teaserbild: Sodbrunnen im Nydegghöfli

Tschachtlan-Berner Bärenjagd: Herzog Berchtold erlegt den Bären
Gemeinfrei via Wikimedia Common
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Es war an einem milden Herbstnachmittag im Jahr des Herrn 1191, als Herzog Berchtold mit seinen Knechten zur Jagd aus seiner neuen Burg aufbrach. Sie hatten in den Monaten zuvor auf dem Felsen in der Flusskrümmung mit Baumstämmen eine feste Behausung aufgestellt und mit Erdwällen gegen den Graben landwärts gesichert. Herzog Berchtold, der fünfte gleichen Namens aus dem Geschlechte der Zähringer, war von seiner Burg im Breisgau aufgebrochen um sich neue Herrschaftsgebiete im Üechtland, im Siebental und im Oberland zu erobern. Er war von Konstanz hergekommen und fand an der alten Römerstrasse eine Furt über den herbstlich zahmen Fluss und war an der andern Seite auf stark bewaldete Hügelzüge gelangt. Immer dem Fluss entgegen fand er den Felsvorsprung als geeignet für eine Niederlassung. Der Bauplatz war gefunden, aber noch keiner wusste wie die neue Burg heissen sollte. Dann kam der Tag der Jagd und Berchtold beschloss seine Burg nach dem ersten dabei erlegten Tier zu benennen. Bald darauf trafen sie im wilden Eichenwald auf einen riesigen Bären, der hoch aufgerichtet zum Kampf bereit stand. Herzog Berchtold selbst trat ihm mutig entgegen und stiess dem Tier den Spiess mitten ins Herz. Nach diesem stolzen Tier, sprach Herzog Berchtold, will ich meine Burg benennen. Sie soll dereinst meine Reichsfeste sein und um die Burg soll eine Stadt mit festen Mauern gebaut werden. So geschah es und die stolze Stadt wurde in den folgenden Jahren gross und mächtig.

Die Burg Nydegg
Das Original (teilweise koloriert) realisierte Gregor Sickinger 1603-1607
Scan aus “Das Alte Bern” von E. v. Rodt

Gerne stellt man sich so die Gründung Berns vor, aber das ist ein Märchen. Tatsächlich war bereits im 2. Jh. v. Chr. die Engehalbinsel von Kelten bewohnt und danach hausten dort die Römer bis ins 3. Jh. n. Chr.. Bevor die Halbinsel mit der steilen Felsnase zuvorderst besiedelt wurde, müssen an anderen Stellen Menschen gelebt haben, das ist mit diversen Gräberfunden bewiesen. Um die Mauritiuskirche in Bümpliz bestand vom 7. bis ins 9. Jh. ein Königshof des hochburgundischen Königreichs mit einer Wehranlage. In Köniz wurden Gräber aus dem 6. Jh. gefunden und unter dem Chor der Kirche aus dem 10. – 11. Jh. werden ältere Grundmauern von Vorgängerkirchen vermutet. Warum weder Bümpliz oder Köniz noch die Siedlungen auf der Engehalbinsel zur Stadt wurden, kann nicht erklärt werden. Wann genau die erste Burg auf der Nydegg gebaut wurde ist vorläufig nicht nachweisbar. Neuere Forschungen vermuten dass die Stadt unter Berchtold dem IV. von Zähringen bereits 1160 von der Burg nyden auf der Egg bis zur Kreuzgasse ausgedehnt war. Unter dem Einfluss von Herzog Berchtold V. von Zähringen entwickelte sich ab 1191die Stadt weiter bis zum Graben am Zytglogge. Das Geschlecht der Zähringer starb 1218 aus und Bern wurde freie Reichsstadt. Die neuen Herrscher, die Habsburger, verloren bald ihre Macht über die Berner und ihre Burg wurde 1270 demoliert, kein Stein blieb auf dem anderen, der mächtige Donjon wurde den Bürgern zum Steinbruch. Darum fällt es heute den Archäologen so schwer die Baugeschichte genauer zu erforschen.

Situationsplan
Orientierungstafel an der Nydeggkirche

Die Nydegg aber war nicht mehr das Zentrum der Stadt, die besseren Leute siedelten sich im oberen Teil an den Hauptgassen an, wo auch die Märkte stattfanden. Auf dem Burghügel im ehemaligen Burghof bauten sie um 1345 eine der Hl. Anna und der Maria Magdalena geweihte Kapelle deren Apsis noch von aussen sichtbar ist. Sie wurde von der Deutschherrenkomturei Köniz betreut. 1483 entstand der Glockenturm und 1504 das vergrösserte Hauptschiff. Nach der Reformation wurde die Nydeggkirche für 40 Jahre zum Fass- und Holzlager bis sie 1566 zur Filiale des Münsters wieder als Kirche eingesetzt war. In den Häusern am steilen Nydeggstalden waren gassenseitig allerlei Gewerbe zu finden. Die oberen Häuser hinten hinaus zum Nydegghöfli, standen auf den Dächern der Mattenengehäuser und hatten Eingänge sowohl oben hinaus als auch nach unten. Im um 1930 erschienenen Blättli “Die Berner Woche” werden die Verhältnisse dort bedauernd als leider bald verschwindendes Altbern beschrieben. Es soll dort in den Felswänden geheime Gänge gegeben haben die bis hinunter zur Aare führten und es wurden ausgehöhlte Kavernen als Kellerräume benutzt deren ursprünglichen Zweck niemand mehr kannte. Man zeigte sogar noch die Treppe zum Zimmer der “Zähringerfräulein”. Es seien die Schwestern des Stadtgründers gewesen die dort wohnten.

Zähringerstübli
Das Zimmer der Zähringerfräulein aus “Die Berner Woche” von 1935

Kurioserweise gab es in den meisten Häusern mehrere Zugänge die durch Treppen verbunden waren. So konnte man vom Höfli oben nach unten gelangen und durch das Haus auf der anderen Seite direkt auf die Gasse. Verwinkelt gebaut, an die Trommauer der alten Burg angelehnt, waren die Häuser in teils erbärmlichem Zustand, als man Anfangs des letzten Jahrhunderts beschloss, alles abzureissen und neu zu bauen.

Alte Bausubstanz am Nydegghöfli

Aktuelle Situation

Nach dem ersten Weltkrieg beschloss der Stadtrat zur Wohnraum- und Arbeitsbeschaffung grössere Bauvorhaben. Von der neu gegründeten Gemeinnützigen Wohnbaugenossenschaft wurde zuerst die Häuserreihe an der Badgasse neu gebaut. Danach sollte das Nydeggviertel folgen. Aus den zum Wettbewerb eingereichten Überbauungsplänen von namhaften Architekten, siegte schliesslich das Projekt von Hans Weiss. Der zweitplatzierte Entwurf von Otto Rudolf Salvisberg hätte ausser der Nydeggkirche alle Altbauten entfernen wollen und sogar die Grundstruktur mit Gassenverlauf und der Zeilenbauweise aufgehoben. Das Siegerprojekt betraf allerdings auch den Abbruch der das Nydegghöfli umfassenden Häuser und der an der Aare gelegenen Häuserzeile der Mattenenge, hielt sich aber an das traditionelle Gassenbild mit der gewachsenen Häuserstruktur. In der Folge entstand zwischen den Bauverantwortlichen und dem Heimatschutz eine heftige Diskussion über die Gestaltung der Neubauten. Mehrmals musste der Architekt seine Pläne überarbeiten bis endlich 1939 die Stimmbevölkerung zustimmen konnte. Dann allerdings wurde durch den Ausbruch des zweiten Weltkriegs der Arbeitsbeginn verhindert.

Die Nydeggtreppe lehnt an der Burgmauer

Die Altstadtsanierungen waren auch dem Bundesrat ein dringendes Anliegen, deshalb wurden im Juli 1942 erhebliche Bundesmittel dafür bereitgestellt. Zum Vorsitzenden der «Eidg. Expertenkommission für Altstadtsanierungen» wurde der Berner Baudirektor Ernst Reinhard ernannt. Er kümmerte sich nicht nur landesweit um Sanierungsplanung, er suchte ausserdem um neues Verständnis der Altstadtumbauten nach. Während in den umliegenden Ländern die Altstädte unter dem Flächenbombardement in Trümmer sanken, hatte die Schweiz das Glück ihre Altstädte erhalten zu dürfen. Nicht nur die Erhaltung der Gassenfassaden, auch der Innenhof und die Innenräume sollten bei einer Sanierung einem Totalabbruch vorgezogen werden. Die meisten von Reinhards Vorschlägen verschwanden nach dem Krieg in den Schubladen, doch seine Ansichten setzten sich in den Köpfen fest. Bis diese Schutzmassnahmen in den Gesetzbüchern festgeschrieben wurden, sollte es aber noch Jahre dauern.

Nydegg Höfli

Die neuen Bauten am Nydegghöfli konnten dann 1956/58 mit der schattseitigen Häuserreihe am Nydeggstalden, durch H. Wyss erstellt werden. Kürzlich wurde das Eckhaus mit den Kirchgemeinderäumen nach der langwierigen Renovierung wieder eröffnet. Jetzt sind dort statt des Altersheims einige Wohnungen und Geschäftsräume der Nydeggkirche.

Nydegg Höfli

Heute bemerkt man kaum mehr welche Geschichten unter und um das lauschige Nydegghöfli versteckt sind.

An der Ecke unterhalb der Chorapsis Ist ein Mauerrest der Burg zu sehen

Die andere Ecke der Mauer neben dem Brunnen

Nur der tiefe Sodbrunnen und zwei Mauerfragmente von den Ecken des ehemaligen Burgdonjon bestehen noch seit dem 12. Jahrhundert.

Herzog Bärchtold, der fünfte gleichen Namens aus dem Geschlechte der Zähringer

Der bronzene Berchtold wacht ziemlich unbemerkt von den Touristenscharen im Schatten der Nydeggbrücke und es bleibt zu hoffen, dass dem Platz mit seinen schattenspendenden Bäumen, die anderen Orts ach so dringend bemühte Belebung erspart bleibt.

Alle aktuellen Bilder sind vom Autor Erwin Weigand

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