Schuster bleib bei deinem Leisten
Immer schon kam mir der Begriff “Leist” fremdartig und unerklĂ€rt vor. Alles ĂŒber einen Leisten schlagen, als Sprichwort fĂŒr eine negative Verallgemeinerung, ist gut mit Schuhen die alle ĂŒber den gleichen Leisten angepasst werden und nicht an allen FĂŒssen passen wĂŒrden erklĂ€rbar.
Bild 2: Schuhleisten
Ich kannte also den Leisten der Schuster, den schmerzhaften Leistenbruch aus eigenem Erleben, sogar den vorzĂŒglichen Frankenwein vom Leisten in WĂŒrzburg und sowieso die Holzleiste, aber ein Gassenleist oder ein als Leist bezeichneter Schullehrer waren mir als Zugewanderten unbekannt. Was also bedeutet der Begriff und woher stammt er? Wikipedia kann nicht viel weiterhelfen, bleibt noch das Schweizerische Idiotikon. In diesem Wörterbuch fand ich folgende ErklĂ€rung: Leist «von Zeit zu Zeit sich versammelnde zwanglose Gesellschaft», auch das Gesellschaftslokal, «geschlossene Gesellschaft von Freunden, die entweder einen eigenen Ort fĂŒr jeden aus ihnen offen halten oder sich wechselweise bei einem aus ihrem Mittel versammeln.»
Bild 3: Aberli, Bild eines Leists
In Bern gibt es diverse Quartier- und Gassenleiste die sich aus solchen “zwanglosen” Gesellschaften entwickelt haben. Ein Bild eines solchen Leists ist uns von 1758 ĂŒberliefert. Johann Friedrich Aberli hat darauf die Herren Friedrich Lienhard, Karl Friedrich Bucher, Abraham Wild, Paul Friedrich Otth und Albrecht Herport bei eine zwanglosen Treffen portrĂ€tiert.
Bild 4: HollÀnderturm
Im HollÀnderturm trafen sich regelmÀssig einige aus hollÀndischen Diensten entlassene Offiziere zum Tobakleist um das im fremden Land erlernte Tabakrauchen zu pflegen. Tabaktrinken, wie man es nannte, war obrigkeitlich als verpönter Genuss verboten, genauso wie Kaffeetrinken. Erst viel spÀter im neunzehnten Jahrhundert durften gehobene Kreise sich öffentlich rauchend zeigen.
Bild 5: Plattformpolitik
Da sah man Ratsherren von der Junkerngasse mit ihren verzierten Meerschaumpfeifen zur Plattform wandeln, wo sie zur frĂŒhen Morgenstunde und abends sich mit den MĂŒnsterpfarrherren und Ihresgleichen trafen. TagsĂŒber war das Rauchen dort verboten.
Bild 6: Zunftstube
In den Zunftstuben, in Bern Gesellschaftsstuben genannt, trafen sich traditionell die Meister zu GesprĂ€chen und Verhandlungen und auch zu feuchtfröhlichen Festen. Der Zugang zu diesen SocietĂ€ten war auf bestimmte Personenkreise beschrĂ€nkt; ein neues Mitglied musste den Regeln und AnsprĂŒchen genĂŒgen. Ein witziges Beispiel hat uns der Sigriswiler Pfarrer Karl Howald von 1809 aus der wohladeligen Gesellschaft vom Distelzwang ĂŒberliefert:
Bild 7: KrĂ€henbĂŒhl
Ein neu aufgenommener Burger von unansehnlicher Herkunft, Notar und Amtsschreiber KrĂ€henbĂŒhl, wurde durch das Los kraft des Reglements der genannten Gesellschaft zugeteilt, wo er aber wenig willkommen war und seine Aufnahme verweigert wurde. Die Regierung unterstĂŒtzte aber den Stadtrat, worauf ĂŒber mehrere Gesellschaftsmitglieder Arrest verhĂ€ngt wurde. Der Streit um KrĂ€henbĂŒhl, der fast zur Staatsaktion geworden wĂ€re, endete damit, dass derselbe selbst auf seine Mitgliedschaft vom Distelzwang verzichtete. Die Gesellschaft zum Distelzwang war schon 1390 von den Vornehmeren als GegenstĂŒck zu den HandwerkerzĂŒnften gegrĂŒndet worden.
Eine ErklĂ€rung fĂŒr “Leist” liefert Eduard von Rodt: StrafwĂŒrdige Gesellschaftsgenossen mussten in frĂŒheren Zeiten “leisten“, das heisst durch Hausarrest im Gesellschaftshaus gewisse Strafen abbĂŒssen, resp. leisten.
In eine völlig unbekannte Variante fĂŒhrt folgende ErklĂ€rung aus der Schweizer Rundschau von 1894, S.264:
Aus dem gewohnten Anblick von in den Herbergen Giselschaft leistenden Vereinigungen ging in Bern der Ausdruck Leist fĂŒr jede regelmĂ€ssig beim Trunk sich versammelnde Gesellschaft hervor
Was bedeutet jetzt wieder “Giselschaft”?
Persönliche BĂŒrgschaft, besonders in der Form des Einlagers (Leistung), obstagium, als gerichtlichen Zwangsmittels, wornach der Schuldner, solange er nicht zahlte, sich (bisweilen mit dem GlĂ€ubiger und den MitgĂŒlten) in ein öffentliches Wirtshaus einlagern, hier in Personalhaft bleiben und sĂ€mtliche Wirtszeche fĂŒr sich und die Andern bestreiten musste. Der Schuldner konnte sich auch bei der Giselschaft durch einen BĂŒrgen vertreten lassen: Die bĂŒrgen sont an offen wirten recht giselschaft leisten iro jeglicher bsunder ie 2 mal an dem Tag und welche mit syn selbes lybes lybe nit leisten will ald mag, der soll einen Gysel mit einem pferit dahin ze Gysel legen. 1359 Constanz
Eine berĂŒhmte BĂŒrgschaft kennen wir noch aus Schulzeiten:
Bild 8: Neue Lesart von der BĂŒrgschaft
Da gab es auch den Schuldeneintreiber, Gisler genannt, der dann im Wirtshaus die völlige Schuldbegleichung verzechen musste. Synonyme fĂŒr die Geldeintreiber waren Gilsli-Fresser oder Zinsli-Bicker. Das war sicher fĂŒr die Wirte ein eintrĂ€gliches GeschĂ€ft.
Heute ist eine Geiselnahme um Geld zu erpressen ein schweres Verbrechen, aber das darf man nicht mit der PfÀndung von Wertsachen oder der ersatzweisen Inhaftierung durch staatliche Organe vergleichen.
In völliger Umkehrung wurde das Giselmahl auch fĂŒr einen Hochzeitsschmaus verwendet. Dann gab es auch noch die Ărte als Bezeichnung fĂŒr das Hochzeitsessen. Jetzt bin ich aber völlig vom Thema abgekommen. So geht es wenn man sich mit lange vergessenen GebrĂ€uchen beschĂ€ftigt. Also, jemand musste Giselschaft leisten, aus dem Giselmahl wurde ein einvernehmliches Schmausen in kleinem Kreis und daraus ein Treffen von Gleichgesinnten, die gewissen Regeln gegenĂŒber dem Leist genannten Gastgeber zu leisten hatten. Den Schulmeister nannte man Leist, wohl weil er seine Anvertrauten zu Leistungen anzuhalten hatte, aber das ist reine Vermutung.
Bild 3+8 Wikimedia Commons gemeinfrei, Bild 5, 6, 7 Scan aus E.v.Rodt Bern im 19.Jahrhundert, Bild 1, 2, 4Â Erwin Weigand