Süsse Wohlgerüche und übler Gestank
Wer im Spätherbst durch die Stadt flaniert, dem wird bald einmal der unverkennbare Duft von gebratenen Kastanien in die Nase geraten. Dem Spontankauf von wenigstens 100 gr.zu Fr. 3.80 heissi Marroni kann höchstens das Preisverhältnis Einhalt gebieten; nur noch Pralinés sind teurer. Trotzdem ist eine warme Tüte “Chegele” nützlich bei kalten Händen, vom Genuss ganz zu schweigen.
Die Berner Marroni werden von zwei Berner Grosshändlern geliefert. Sie beziehen die beliebten Früchte aus den Selven von Tessiner Bauern, oder notfalls aus Italien und Korsika. In Bern werden die Chegele verlesen und die verdorbenen Exemplare ausgesondert. Erst kurz vor der Auslieferung zum Marronibrater wird die Schale eingeschnitten. Maschinen helfen bei der mühsamen Vorbereitung, denn ohne den “Hick” würden die Marroni in der Feuerpfanne platzen. Wer wollte dann für jemanden “die Kastanien aus dem Feuer holen”?
Heisse Marroni am Waisenhausplatz
Ein anderer intensiver Geruch besteht nur noch in der Erinnerung. Noch in den Siebzigern hätte man mit verbundenen Augen gewusst in welchem Quartier der Stadt man sich da befindet.
Chocolat Tobler Fabrik
Der Duft von Schokolade war noch weit weg von der Chocolat-Tobler Fabrik in der Länggasse zu riechen. Seit 1899 gab es in Bern die Fabrik. Ihr bekanntestes Produkt war die Toblerone. 1985 wurde das Werk geschlossen, nach Bern-Brünnen ausgelagert und schliesslich an den grossen Tabakkonzern verkauft. Dort an der Autobahn “schmöckt es nüme nach Schoggola”, Filteranlagen halten die Luft sauber. Allerdings wird wohl ein dort beschäftigtes Mädchen, sofern es Käthi heissen sollte, auch heute noch unverkennbar nach dem braunen Suchtprodukt riechen, wie es der Berner Troubadour Bernhard Stirnemann einst besang:
«Mys Käthi schmöckt nach Schoggola, äs schafft bim Tobler z’Bärn;
u mängisch byss i’s eifach aa, so hani d’s Käthi gärn.
S’isch my Toblerone, und eis möcht i betone:
I liebe d’s Käthi no vil meh, als tüüri Pralinee.»
Schweinemast
Viel anders waren die Gerüche früherer Zeiten. Fünfhundert Jahre früher wusste noch niemand etwas von Schokolade, da roch (oder stank) es noch ganz anders in der Stadt. Diverse Handwerksbetriebe produzierten bei offenen Türen und Fenstern und Geruchsbelästigung wurde besonders den Gerbern angelastet. Die meisten Haushalte hielten auch Haustiere. Die vornehmeren hatten Reit- und Kutschenpferde, andere hatten Hunde und Katzen, Hühner und Gänse, alle brauchten Futter und machten Mist. Die Grünabfuhr ist eine Erfindung neuerer Zeit, damals hielt man sich zur Bioentsorgung der Rüstabfälle ein oder zwei Schweine. Schweine sind genügsam, die fressen alles was sie finden können. Wer selbst eine Hofstatt hatte, liess die Tiere dort frei laufen. Andere übergaben sie einem Schweinehirt zum “Acherum”, das war die Sauweide im Wald mit Eicheln und Bucheckern, auch Ackerum, Äckert oder Eckert genannt. Hier erklärt sich auch der Begriff “Bucheckern”. Schlimm wurde es bei Futtermangel, die Schweine mussten sich ihr Fressen selbst suchen und streiften dabei unbeaufsichtigt in den Gassen herum, hatten keinen Respekt vor fremden Häusern, auch der Friedhof war ihnen nicht heilig, ja selbst in die Kirchen drangen sie ein. Sie liessen ihren Mist überall fallen und diese “Sauerei” gefiel den Oberen überhaupt nicht. In den Polizeibüchern finden sich immer wieder Einträge wie dieser Missstand bekämpft werden sollte:
Schweine in der Stadt, W.Busch
10. Oktober 1522:
«Min herren haben geraten, das deheine in der statt, es syen müller oder ander ingesässen, nit meer dann vier swin haben und wellicher mer dann viere hat, die sollen im die weibel nämen und in spittal thun, deßglichen so sol einer sine swin für den hirt triben, und so si harheim komen, in thun und nit uff die gässen lassen louffen, und wo also die weibel die swin uff der gässen finden, sölien si ouch nämen und in die spittal geben.»
11. Januar 1527:
«Haben m. h. angesächen, das die sigrist in der kilchen und uff dem kilchhoff acht sölien haben, daß dhein schwin darumb gangend,..»
- September 1530:
«…So ist geordnett und angesächen, das von Martins tag nächstkunfftig niemands, der hie in der statt gesässen, der nitt eigen gutter, alls acker und matten hatt, nitt mer dann zwöy schwin haben und züchten soll. Die aber eigen acker und matten hand, da mag einer uffs aller vilest vier schwin und nit darüber erzüchen….
Wytter ist angesächen, das all schwinstell so uff und in disen gässen sind, nämlich vom nidern biß zum obern thor durch, uff der herren von Ägerden gässen, kilchgassen, hormannsgassen, durch biß an golleten matten thor, schwin märit, tachnagler graben, an der rinngmur und by der keby biß an den egkenn, gar hinweg gethan, gerumpt und niemermer gemacht sollendt werden.»
1. November 1535: Der Pfarrherr musste folgende obrigkeitliche Bekanntmachungen von der Kanzel verlesen.
«D’fierer und sigristen d’süw, so in der statt umher louffen inthun, von jedem schwyn ein plaphart büß nemmen, under sich theilen. Item, die so über d’ornung schwyn hand, straffen.
Den (schwyn) hirten zedell, das sy d’lüth warnen.»
14. August 1559:
«Zedell an Cantzell, das min heren mengklich wollen gwarnet haben, jre schwin, item hüner und gännß dermaßen jnzehalten dan welliche in der kilchen durch die sigristen mögen beträtten, die sölien inen, den sigristen, verfallen sin.»
Schweinefleisch war für die Bevölkerung neben Körnerfrüchten und Steckrüben ein wichtiges Grundnahrungsmittel. Weil aber Körner und Räben auch als Schweinefutter gebraucht wurden und in Notzeiten den Menschen zuerst als Nahrung dienen sollten, wurde die Schweinehaltung behördlich eingeschränkt und bald auch nur in ländlichen Gebieten erlaubt.
Der hl. Antonius mit seinem Attribut
Auf dem Land war das Hausschwein dagegen ein sehr geschätzter Hausgenosse. In katholischen Gebieten hat es sogar einen eigenen Heiligen, den “Säulitoni“. Gemeint ist Antonius der Grosse, der oft mit einer Sau als Attribut dargestellt wurde. Da sind die Gläubigen aber einem Irrtum aufgesessen, denn das Schwein malten die Künstler als Teil der Versuchungsbestien aus der Legende hinein. Trotzdem erhielt der heilige Einsiedler seine Aufgabe als Patron der Schweinezüchter. Das nur zwischendurch.
Langsam verschwanden die Ställe und Misthaufen aus der Stadt und damit auch deren Gestank. Der Schweinemarkt der Landleute blieb allerding noch lange bestehen.
Geruchsbelästigung brachten auch noch länger die Schlachthäuser der Metzger. Teils waren die rittlings in der Gassenmitte über dem Stadtbach gebaut. Beim Putzen der Gedärme wurde so das Abwasser in die Aare geleitet und damit zu Fischfutter.
Was mag sonst noch in der Luft gelegen haben? Natürlich Rauch, Rauch von den Herdfeuern, von Cheminées und von Schmiedefeuern. In den Wohnhäusern wurde Holz verbrannt, wenn es genügend getrocknet war, auch recht raucharm. Für die Schmiedefeuer brauchte es Holzkohle, die glimmt nur langsam und kann mit einem Blasbalg zu grosser Hitze gebracht werden, was zum Schmieden von Hufeisen nötig war. Uuuh, jetzt stinkt es gewaltig. Wenn der Hufschmied das glühende Eisen anpasste, brannte es sich am Pferdehuf mit viel Rauch und beissendem Gestank ein. Den Geruch einer Hufschmiede kann man noch heute erleben.
Irgendwann begann man getrockneten Torf vom Moossee zu verbrennen, eine russige Sache. Zum Glück auch bald beendet. Mit der Eisenbahn kam dann die Steinkohle in grossen Mengen und den Rauch aus den Hochschloten wollen wir lieber vergessen.
Oberes Gerechtigkeitsgässchen, ein ehemaliger Ehgraben
Vergessen wollen wir auch den Gestank der mittelalterlichen Ehgräben. Es gab ja noch keine geschlossene Abwasserkanalisation, deshalb hatten die Wohnhäuser entweder eigene “Bschüttigruben” die von Zeit zu Zeit ausgeschöpft und aufs Land gefahren wurden, oder der Unrat sammelte sich in den Ehgräben zwischen den Häusern, wo er mit dem Regenwasser von den Dächern verdünnt langsam in eigenen Kanälen der Aare zu floss. Gelegentlich wurde Wasser vom Stadtbach in diese Gräben geleitet und spezielle Arbeiter, vielleicht Schellenwerker, mussten in den Gräben noch nachputzen. Heute ist das ganze Abwassersystem unterirdisch, unsichtbar und geruchlos für die Bewohner. So ist es in Bern und in den allen Städten der Schweiz, wie es draussen aussieht? Mir wei nid grüble.
Gegen diese üblen Gerüche hatten die Alten nur die Möglichkeit mit stärkerem Wohlgeruch dagegen anzustinken. Parfum und wohlriechende Salben sind schon im Altertum gebräuchlich gewesen. Damit wurde auch der Umgang mit den ungewaschenen Herren und Damen angenehmer. In den Kirchen, wo sich dichtgedrängte Volksmassen sammelten, wird es kaum erträglich gewesen sein. Einer stank nach Zwiebeln und Knoblauch, die andere nach Schweinstall, dieser nach Bier und Wein, jene nach ungewaschenen Kleidern, da entdeckte man den Weihrauch aus exotischen Baumharzen. Himmlische Wohlgerüche überdeckten fortan den unten wabernden irdischen Gestank.
Im Holländerturm oben zelebrierten einige Herren erstes Genussrauchen mit dem neuen Tabak aus Übersee.
Rauchwürste
In den Wohnungen war es dank dem Rauch von offenem Feuer erträglich. Mit glimmenden Wacholderzweigen werden noch heute in abgelegenen Bergdörfern an besonderen Tagen die Räume ausgeräuchert. Mit Rauch wird noch heute Fleisch haltbar gemacht. Geräucherte Hamme, Zungewurst, Speck und Gnagi, dazu noch Surchabis oder Surrüebe, dörrti Bohne und Salzhärdöpfu, kurz e Bärnerplatte – schmöcksch es scho?
Übrigens soll die Bernerplatte am 5. März 1798 erfunden worden sein, als die vorübergehend gegen die Franzosen siegreiche Berner Truppe von Neuenegg zurückkehrte. Die Bauersfrauen suchten aus ihren Vorräten zusammen was vorhanden war und bekochten damit die erschöpften Männer.
Zum Schluss darf noch ein Geruch nicht unbeachtet bleiben, es ist der Geruch von Käse. Wenn man vom Zibelegässli über die ehemalige Metzgergasse zur Brunngasse strebt, findet man an der Ecke ein traditionelles Chäslädeli. Gegründet hat es die Grossmutter von Dieter Heugel 1894 und dann ist es über Generationen weitergegeben worden. Jetzt ist es in jüngere Hände gekommen, die Heugels Tradition auf ihre Art weiterführen. Aber der Geruch ist geblieben, denn:
«Chli stinke muess es»