Tief unter dem Waisenhausplatz
Am Anfang dieser Geschichte stand die Suche nach dem verschwundenen Schegkenbrunnen. Er soll einer der ersten Brunnen der Stadt Bern gewesen sein, die von eigenem Quellwasser gespeist wurden. Die spÀteren Stock- und Figurenbrunnen werden seit 1339 mit Röhrenzuleitung vom Brunnhof her mit frischem Wasser versorgt. So ist es bei Justinger dokumentiert:
«Wenne die stokbrunen in die stat geleit wurden.
Do man zalte von gots geburt MCCCXCllI jar(1393), wurden die stokbrunnen ze bern in die stat geleit, und waz ein grosse notdurft, wond vormals menglich wasser reichen muste zem Ienbrunnen, zem stetbrunnen im graben nid den prediern , und ze schegkenbrunnen oder ze den prediern im crĂŒtzgang.»
Von diesen vier Brunnen ist einzig der Stettbrunnen an der Brunngasshalde noch in Betrieb. Vom Lehnbrunnen ist eine rekonstruierte Anlage unter der Staatskanzlei beim Rathaus erhalten. Andere Sodbrunnen wurden bei Bauarbeiten erforscht und dokumentiert, zugÀnglich ist noch der beim Nydegghöfli. Der Schegkenbrunnen, der nach einer dort ansÀssigen Familie Schegko benannt war, ist jedoch verschwunden, einzig in schriftlichen ErwÀhnungen ist seine Existenz gesichert.
Ausschnitt aus dem Merianplan von 1654 mit Stadtgraben, Zeughaus und Predigerkloster
Bild: Waisenhausplatz
Wo jetzt der Waisenhausplatz leer einer besseren Gestaltung wartet, war vordem der zweite Stadtgraben. Er trennte die unter Peter II. von Savoyen 1255-65 erweiterte Altstadt vom Umland, war aber bald ein Teil innerhalb der Stadtmauern. Der Graben zog sich ausserhalb der Mauern vom KÀfigturm, vorbei am HollÀnderturm und Tschiffeli- oder Schwefelturm hinunter zum Pulverturm und Langmauerweg.
Bild: Tschiffeli
Der westliche Teil hiess Tachnaglergraben. Tachnagler nannte man die Schindeldachdecker die wohl dort ihre WerkstÀtten hatten. HolzschindeldÀcher waren seit dem grossen Stadtbrand von 1405 obrigkeitlich verboten, erlaubt waren die Klosterziegel (Mönche und Nonnen) oder Flachziegel (BieberschwÀnze) aus gebranntem Ton, das nur nebenbei.
 Der Tschiffeliturm stand an der GelĂ€ndekante anstelle des alten Waisenhauses. Er war Teil des Anwesens des Spitalmeisters Tschiffeli. Hans Jakob Tschiffeli war von Biel her zugewandert und wurde 1595 Burger von Bern. In Biel gab es ein Geschlecht Chiffelle, spĂ€ter wurde der Name in Tschiffeli eingedeutscht. Einer aus diesem Haus, der Johann Rudolf T. grĂŒndete 1759 die Bernische Ăkonomische Gesellschaft, die das Bauernwesen reformierte, ein anderer der nach SĂŒdamerika ausgewandert war, begrĂŒndete den “Tschiffeliritt”, der ĂŒber zwei Kontinente fĂŒhrte, aber das ist eine andere Geschichte.
Das ehemalige Zeughaus, gemalt um 1850
 Ein Teil des östlichen Grabenabschnitts grenzte an den Garten des Zeughausmeisters. Das obrigkeitliche Zeughaus stand anstelle der NMS Bern, die als freie evangelische MĂ€dchenschule (Neue MĂ€dchenschule) im Jahre 1851 gegrĂŒndet wurde. Auf dem Werkhof vor den Predigern, dem Tremelhus oder TrĂ€melhof war zwischen 1517 und 1526 das BĂŒchsenhaus erbaut worden. Erweiterungen folgten 1560 und 1577. Dort wurden alle Kanonen, Waffen und KriegsgerĂ€te aufbewahrt und fĂŒr die hĂ€ufigen StreitfĂ€lle bereitgehalten. Das Grosse Zeughaus verschwand 1876, nur die nach ihm benannte Zeughausgasse erinnert daran.
1785/87 entstand vis-Ă -vis das von Niklaus SprĂŒngli erbaute Kornhaus des Burgerspitals, welches auch Speichergasskornhaus genannt wurde. In den alten Dokumenten wird erwĂ€hnt, dass der Schegkenbrunnen dorthin versetzt wurde.
Zuletzt wurde das Kornhaus auch Kaserne fĂŒr 100 Mann, als Erweiterung des Zeughauses. FĂŒr den Bau des Gymnasiums Waisenhausplatz, 1883, musste dann das ehemalige Kornhaus weichen und mit ihm auch der Schegkenbrunnen.
Im Jahr 1783 wurde auch der Zeugwartgarten mit dem Graben aufgefĂŒllt. Die Stadtmauern und TĂŒrme hatten als nutzlose Befestigung ausgedient und verschwanden StĂŒck um StĂŒck.
Ein Rest der Langmauer am Aarhof / Hausecke mit Resten des Harnischturms.
Unten an der Aare ist ein Teil der Mauer erhalten, sie bildet die StĂŒtzmauer des Parks vor dem zur heutigen NMS (Neue Mittelschule) gehörigen, seit 1885 so genannten Aarhofs. An einer GebĂ€udeecke ist noch der Rest des mitverwendeten Harnischturms ablesbar. Er wurde vor 1269 erbaut und 1487/89 als Teil der neuen Flankenmauer umgebaut. Seit 1557 wurde er auch als Pulverturm bezeichnet; der Ostanbau zwischen 1667 und 1687 macht ihn zum grössten Pulvermagazin der Stadt bis 1699. Der Harnischturm wurde auch Pfaffenturm genannt und wegen seiner Lage an der Hirzenhalde auch Hirzhaldenturm. 1838 wurde die Haldensperrmauer zwischen Knabenwaisenhaus und Aare zur Weiterverwendung als Baumaterial abgebrochen. Der Harnischturm wurde 1848 von Privaten erworben und zu einer Kerzen- und Seifenfabrik (Seifensiederei) umgebaut. Der Park diente zeitweise als Botanischer Garten. Bis kurz nach dem Zweiten Weltkrieg war im Harnischturm eine Backofenfabrik untergebracht, dann ein Taubstummenheim. Seit 1985 gehört der Harnischturm der Neuen Mittelschule Bern.
Aarhof mit Park
 Auf der Tschiffelibesitzung entstand nach PlĂ€nen von Ludwig Emanuel (II) Zehender und Samuel Jakob lmhoof der namensgebende Neubau und diente von 1786 bis 1938 als Knabenwaisenhaus. Die Waisenknaben zogen dann gemeinsam mit den WaisenmĂ€dchen 1938 in den Neubau des Burgerlichen Waisenhauses am MelchenbĂŒhlweg und ĂŒberliessen das prĂ€chtige BarockgebĂ€ude den Stadtpolizeiknaben als Hauptquartier.
Links PROGR das Gymnasium, mitte altes Knabenwaisenhaus, rechts NMS Neue Mittelschule (frĂŒher Neue MĂ€dchenschule)
Der Waisenhausplatz selbst hiess ursprĂŒnglich Oberer Markt, spĂ€ter Viehmarkt, dann Holzmarkt, gelegentlich auch Weinmarkt und schliesslich Schweinemarkt. Auch der KĂ€se- und Brotmarkt fand bis Anfangs 20. Jahrhundert da statt. Nach der AufschĂŒttung des Tachnaglergrabens hiess der entstandene Platz Zeughausplatz und dort fand der Eisentrödel- und Spenglerwarenmarkt statt. Landwirtschaftliche GerĂ€tschaften und Maschinen wie auch Heu und Stroh wurden ebenfalls dort verkauft. Mit dem wachsenden Verkehr wurden die nun gemeinsam Waisenhausplatz genannten MĂ€rkte zu Strassen und ParkflĂ€chen.
Waisenhausplatz und Meret-Oppenheim Brunnen / Ausgrabung mit Fundamenten vor Polizeihauptquartier.
 2003 begann man das seit 1956 bestehende Metro-Parking unter dem Waisenhausplatz zu erweitern. Dazu musste eine tiefe Baugrube vor der Polizeikaserne ausgehoben werden. Dabei stiess man auf die Fundamente der Tschiffeli-Besitzung mit Wohn und NebengebĂ€uden. Leider war es nicht möglich irgendetwas davon zu erhalten. Die ArchĂ€ologen haben ihre Funde dokumentiert und danach wurde in der Baugrube mit viel Beton Platz fĂŒr weitere 140 Autos geschaffen. Profitiert hat davon der Bundesplatz, die ParkplĂ€tze dort konnten aufgehoben werden. Auf dem Waisenhausplatz hat man den Vorgarten des Waisenhauses wieder hergestellt und die Autos in die Schranken gewiesen. Auf dem nun fast autofreien Platz fand der Meret-Oppenheim Brunnen einen prominenten Platz und versinnbildlicht handgreiflich die Entwicklung des Ortes. Als kĂŒnstlerische PrĂ€sentation der ArchĂ€ologie ist im Treppenhaus des Eingangskiosks zum Metro-Parking eine Lichtinstallation zu sehen. Dem geduldigen Besucher wird vom Lift gesteuert eine Zeitreise durch die Jahrhunderte mit wechselnd sichtbaren und verborgenen Begriffen gezeigt.
Die Vergangenheit liegt unter Tage begraben.
Die Bilder hat Erwin Weigand gesucht oder selber fotografiert