Von Rädern und ihren Machern
Sie waren im 18./19. Jahrhundert: «nicht sonderlich geachtet/und findt man niemand der sich dieser Profession annimbt/als geringe liederliche Gesellen/welche eine Zeitlang Stallratzen gewesen/und sind gemeiniglich mit den Fergen*) über einen Leist geschlagen/und under einander fast alle gleich/daβ wer einen frommen haben will/der muβ in der Wiegen suchen.
Es können aber weder Kutscher noch Fuhrleute ihrer Hantierung verzichten»
*)Fergen=Spediteure
So ist es zu lesen über die Wagner, im 1585 in Venedig geschriebenen und 1619 ins Deutsche übersetzten italienischen Ständebuch: «La piazza universale di tutte le professioni del mondo. Di Tommaso Garzoni da Bagnocauallo.»
(gemeinfrei aus Wikimedia Commons übernommen)
Auch in Bern musste ein Wagner das Rad nicht neu erfinden. Das hatten schon Steinzeitmenschen getan, als sie entdeckten, dass Baumstämme rollen und ein schwerer Felsbrocken darauf bewegt werden kann. Erste Räder dürften fest mit der Achse verbundene Holzscheiben an einfachen Karren gewesen sein. Speichenräder sind erst seit etwa 1000 v.Chr. nachweisbar. Ein 3000 Jahre altes Bronzerad mit vier Speichen wurde bei Cortaillod am Neuenburgersee ausgegraben.
Beim Bau der Nydeggburg konnte man also auf 2000-jährige Technik zurück greifen. Die zum Transport der Mauersteine und Bauhölzer gebrauchten Ochsenkarren waren von spezialisierten Handwerkern gebaut worden, den Wagnern. Die Wagner gehören somit zu den ersten Gewerblern in Bern. Wie auch in den Bauerndörfern waren in der wachsenden Stadt allerlei Gebrauchsgenstände, Werkzeuge und Fahrzeuge aus Holz nötig. Im Haus brauchte es Treppen und Stiegen, draussen Holzgriffe und Stiele für Gartengeräte oder Werkzeug. Solche Sachen wurden in den Wagnereien auf Vorrat hergestellt. Die eigentliche Hauptprodukte aber waren Wagen, Karren und die dazu nötigen Räder. Eichen- Hagebuchen- und Eschenholz eignet sich am besten für solche Sachen. Im Marzili oder besser im unteren Sandrain, etwa beim Gaswerkareal war lange ein Holzlagerplatz. Dorthin brachten die Flösser vom Oberland her allerlei Baumstämme. Von den Stadtoberen eingesetzte Verwalter regelten den Handel und Verkauf. Unmengen von Brennholz und Bauholz lagerte dort. Den Burgern stand je nach Haushalt eine festgesetzte Menge Brennholz zu. Bauholz wurde von den Zimmerleuten als Balken und Bohlen zugerichtet. Sie hatten einen eigenen Werkplatz in der Sandgrube unterhalb vom Aargauerstalden.
Nach dem grossen Brand von 1405 halfen Freiburger Bauern mit ihren Wagen und Karren beim Aufräumen.
(Chronik des Diepold Schilling)
Wenn jetzt dem angefangenen Thema gerecht, mehr über die Wagner geschrieben werden sollte, dann fällt die Spurensuche schwer. Eigentliche Wagnereien sind in der Stadt nicht mehr zu finden und doch muss es sie gegeben haben.
Mattenenge unter der Nydeggbrücke
Am ehesten wären ihre Werkstätten in der Matte, im Handwerkerquartier zu suchen. Auf einem alten Foto stehen vor der Werkstatt im steinernen Haus an der Mattenenge rechts Räder und Wagen herum. Vermutlich war dort ein Wagenschmied und gegenüber eine Wagnerei. Auf der Aaareseite ist auf alten Bildern dort ein Wasserrad zu sehen. Schon früh wurden mit Wasserkraft in den Schmieden Hammerwerke und in den Wagnereien Bandsägen und Drechselbänke betrieben. Das harte Holz lässt sich von Hand nur schwer bearbeiten, deshalb mussten die Wagner auch recht hagebüchene Kerle sein.
Hans Freyholtz, Wagner
Text: Hans Freyholtz seins Hanttwerckh ein wagner ist adi 23 december Im 1572 Jar In das Zwolff brueder Haus eingenomen worden seins altters Im 62 Jar und ist aldo gestorben den 30 aprill Im 1583 Jar ist also Im brueder Haus gewest 10 Jar 4 monatt und 7 tag. Er ist Letzlich ain krancker und schatthafftter man gewest, auch ains mals Im heltz gelegen, aber doch nitt gehailtt konnen werden, gott gnadt Im.
Nicht klar ist, was mit “im heltz gelegen” bedeutet. Vielleicht ist damit “im Holz” gemeint. Inschrift und Bildnis entstanden nach dem Tod des Bruders.
(Aus dem Hausbuch der Mendelschen Zwölfbrüderstiftung, Nürnberg 1550–1791, Lizenzfrei via Wikimedia Commons)
Ein hölzernes Rad wird noch heute auf die gleiche Art wie seit Urzeiten gemacht. Unentbehrlich ist dazu eine Schnitzelbank und eine Hobelbank wo die Hölzer eingespannt und bearbeitet werden. Jedes Rad hat eine Nabe. Die hölzerne wird auf der Drechselbank in ihre Form gedreht und Löcher für die Speichen heraus gestemmt. Die Speichen aus Spälten mit dem Breitbeil grob herausgearbeitet und mit dem Ziehmesser fertig geformt. Ein flacher Zapfen auf der Nabenseite und ein runder auf der Felgenseite macht die Speiche fertig zum Einpassen. Die nach Schablonen rund ausgesägten Felgensegmente verbinden je zwei Speichen. In eingeschlitzten Nuten werden die Segmente mit Flachdübeln aus Eiche versteift. Jetzt wird noch des Nabenloch für die Achse mit einem Löffelbohrer gebohrt werden. Dann kann das fast fertige Rad noch genau abgedreht und sozusagen “ausgewuchtet” werden. Dank dem eiserne Reifen hält das Rad ohne Leim fest zusammen und eine gebrochen Speiche kann leicht ersetzt werden.
Wagnerwerkstatt im Museum Althaus, Jerisberghofmit Drechselbank, Schnitzbank und Werkzeugen, dazu eine hölzerne Feuerwehrspritze.
Die Räder waren bei den schlechten Wegen starkem Verschleiss ausgesetzt. Darum gab es in jedem Dorf Wagner, Huf- und Wagenschmiede, die einen Schaden schnell beheben konnten.
Ballenberg, Leiterwagen und Göpel. Mit Zugtieren betrieben ersetzte der Göpel das Wasserrad als Antrieb für diverse Maschinen.
Gesellschaft zu Schmieden
Eng mit den Hölzigen verbunden sind die Schmiede. So ein Wagenschmied formt aus ca. 1cm dickem Bandeisen Ringe, genau im Umfang des Holzrads. Das Eisen wird glühend verschweisst und im erwärmten Zustand aufgezogen. Beim Erkalten zieht sich der Ring zusammen und sitzt dann fest. Einige Nägel geben zusätzlichen Halt. Ein eisernes Rohr das leicht konisch als Lager für die Achse dient, kommt noch in die Radnabe. Gut gesalbt und mit der Buchse fixiert, kann das neue Rad lange rollen bis es wieder zur Schmiede muss. Ausser an den Rädern werden noch eiserne Beschläge für die Bremsschraube oder die Deichselbefestigung gebraucht. Die beiden so verschiedenen Handwerker mussten immer schon eng zusammenarbeiten, der eine mit Holz der andere mit Eisen, beide mit unterschiedlichen Werkzeugen in eigenen Werkstätten. Entsprechend gehörten sie auch verschiedenen Zünften an, die Wagner mit den Zimmermännern, Schreinern und Küfern der Gesellschaft zu Zimmerleuten und die Wagenschmiede mit den Hufschmieden und Schlossern zur Gesellschaft zu Schmieden.
Gesellschaft zu Zimmerleuten
Die Wagner gibt es noch, allerdings arbeiten sie modern, mit CAD-gesteuerten Maschinen und sie sind auch heute noch unentbehrlich für den Bau von Turn- und Sportgeräten, Schlitten, Holztreppen, Kirchenbänken und allerlei Reparaturen. Den Carrosserie-Wagner wird man aber kaum noch finden, der letzte mir bekannte, wurde mit der Schliessung der «Fritz Ramseier & Co., Carrosserie Worblaufen» arbeitslos. Durchaus verständlich, denn wer braucht noch Fahrzeugaufbauten aus Holz.
Ach ja, etwas habe ich doch noch gefunden: Einen Hinweis auf eine Wagnerei in einem längst zugeschütteten und mehrfach umgebauten Graben unter dem Waisenhausplatz. Doch davon vieleicht später einmal.
Aktuelle Fotos: Erwin Weigand