Krippe und Kreuz – Aufbruch und Durchbruch
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Im Innern der Wegkapelle
Das Bild stammt aus dem 2016 umgebauten Stall beim Gut Ralligen am Thunersee. Es ist heute eine sogenannte Wegkapelle am Jakobsweg. Sie lĂ€dt ein, als “Pilger auf dem Weg” die Stille und die Einfachheit des Ortes zu erleben und zu meditieren. Die Symbolik spricht mich an. Sie hat mich veranlasst, meine “Nachtgedanken” in einem Titel zum Bild zu formulieren und hier ins Schaufenster zu stellen, mit allen guten WĂŒnschen zu den Festtagen an Weihnachten und zum neuen Jahr.
Eine Krippe steht im Mittelpunkt.
Christi Geburt wird mit diesem Zeichen angedeutet. “Denn sie hatten keinen Raum in der Herberge”, lesen wir in der Weihnachtsgeschichte. Aufgrund der Engelsnachrichten und einem Sternbild sind Hirten und Weise aufgebrochen, diese Krippe im Stall zu suchen.
Die Schriften und die Tradition der Kirchen haben diese Geburt Jesu als Menschwerdung Gottes gedeutet. “Er kam in das Seine”, schreibt Johannes in den ersten Abschnitten seines Evangeliums. Das als “Zeitenwende” bezeichnete Ereignis gab schliesslich in vielen Teilen der Welt Grund dazu, die Kalenderjahre neu zu zĂ€hlen. Auch unser Geburtsjahr beruht darauf!
Wegkapelle in Ralligen, umgebaut 2016
Die Legenden und ErzĂ€hlungen in den Schriften und spĂ€ter in heftigen theologischen KĂ€mpfen um LehrsĂ€tze und Dogmen ĂŒber die GeburtsumstĂ€nde und des VerstĂ€ndnisses des Christus Jesus machen mir eher MĂŒhe. Ob wir sie nicht grĂŒndlich missverstehen, zu wichtig nehmen? Ist nicht gerade der “Stall” ein Zeichen der Einfachheit, der schieren BedĂŒrftigkeit, WĂ€rme, Schutz; ein alternativer TrĂ€f zur raffgierigen, machthungrigen Gesellschaft? Ein Stall genĂŒgt, Stroh, Ruhe, Licht, ein Dach ĂŒber dem Kopf – und eine wunderbare Sicht auf den See!
Aussicht auf Niesen und Thunersee
Aufbruch
Einige MĂ€nner und Frauen haben sich gemĂ€ss den Evangelien angeschlossen an die Wanderungen des Jesus aus Nazareth, haben Vertrauen gewonnen und nicht alltĂ€gliche Erfahrungen gemacht; auch nicht alltĂ€gliches gehört. Sie wurden ermutigt, sich ĂŒber die Gebote und Gesetze zu erheben und zu tun, was dem NĂ€chsten gut tut – und sich selbst! Allerdings erwarteten seine AnhĂ€nger ebenso eine politische VerĂ€nderung, Befreiung von UnterdrĂŒckung und Ăbermacht der Herren und Herrschenden. Vermutlich wĂ€ren sie heute unter den Revolutionierenden, Demonstrierenden und Alternativen zu finden.
“Schlössli” Ralligen, auch eine Pilgerherberge; der Park ist öffentlich!
Ein Beispiel geben die heutigen Besitzer und Betreiber des ehemaligen Rebgutes des Klosters Interlaken in Ralligen, die BrĂŒder der ChristustrĂ€ger-Bruderschaft. Einen der BrĂŒder kenne ich von ihrem Wirken in der Stadt Bern her und habe ihn wĂ€hrend seines Aufenthaltes in Ralligen besucht. Er hat mir nicht nur die neue Wegkapelle gezeigt sondern auch in das markante alte “Schlössli” gefĂŒhrt, wo sich das Leben und der Dienst der Bruderschaft im Rhythmus klösterlicher Tradition in “Ora et Labora” abspielt. Sie beherbergen Gruppen fĂŒr Ferien, Kurse, Tagungen, zu stillen Meditationstrainings und viele weitere Begegnungen.
Dachstock, Gebetsraum
Unter dem grossen Pyramidendach haben sie sich einen einfachen Raum des Gebetes eingerichtet. Er könnte gegensĂ€tzlicher nicht sein zu den Kathedralen und PalĂ€sten, die wir auf einer Kulturreise in Sizilien vorgefunden haben. Diese ĂŒberwĂ€ltigen den Besucher; wir haben gestaunt ĂŒber die KĂŒnstler, ĂŒber den Reichtum an Mosaiken und Sinnbildern, ĂŒber die Dimensionen der GebĂ€ude. Nicht nur Zeichen der Verehrung, viel eher ahne ich, ein Ausdruck der MachtfĂŒlle und des Machtanspruchs der Kirchenleitungen. Welch ein Gegensatz!
Chor und Kuppel in der Kathedrale Monreale, Sizilien
Ich frage mich, ob sich heute noch “Follower” finden, die angesichts dieses gewaltigen Auftritts der Kirchen einen Anreiz bekommen, aufzubrechen, um im Vertrauen auf das im Stall geborene Kind zur Heilung und zum Frieden in der Welt beizutragen.
Das Kreuz
passt eigentlich nicht zur Geburtsgeschichte. Unter dem Weihnachtsschmuck ist es jedenfalls nicht zu finden. Es versinnbildlicht den Tod schlechthin, eine grausame Hinrichtung an einem Folterpfahl. Zeichen des Abbruchs, Ende der Ăbung, der Hoffnung? So wird jedenfalls von einer verĂ€ngstigten, verwirrten Schar seiner AnhĂ€nger berichtet. Sie wussten nicht, welchen Sinn dieser Tod, dieses Scheitern des Aufbruches haben sollte. Ein Tiefpunkt, eine Krise, wie wir es kennen und nennen wĂŒrden. Das Kreuz gehört deshalb heute zu Karfreitag, einem eher dĂŒsteren Gedenktag, dem unterdessen höchste Bedeutung in der Reihe der christlichen Feiertage zugesprochen wird.
WandgemĂ€lde in der Kirche BergĂŒn GR
Durchbruch
Ich habe lange gesucht nach einem Ausdruck, der hier adĂ€quat dem Begriff Aufbruch zugeordnet werden könnte. Es zeigte sich ja, dass dieses qualvolle Leiden und der Tod des “FriedefĂŒrsten” und “Heilandes” nicht das Ende bedeutete, kein Abbruch war. Deshalb entschied ich mich zum Stichwort Durchbruch.
Dabei schaue ich natĂŒrlich zurĂŒck und stĂŒtze mich auf die Schriften des Neuen Testaments, die Evangelien, die Apostelgeschichte und die Briefe des Paulus. WĂ€hrend die Geschichtsforschung den Prozess um Jesus, den Nazarener, noch zeitlich und in grossen ZĂŒgen einigermassen glaubwĂŒrdig zurĂŒckverfolgen kann, sind die weiteren Geschehnisse nicht mit rationalem Verstand zu fassen: Das leere Grab, die Begegnungen der Frauen und AnhĂ€nger mit dem totgeglaubten Meister, der Ruf “Jesus ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden!” der heute an Ostern in vielen Kirchen und Gottesdiensten erschallt und gefeiert wird. Was haben da eigentlich Hasen und Eier zu suchen?
Eine eindrĂŒckliche Darstellung des Christus an der Ikonostase im orthodoxen byzantinischen Kloster Hosios Lukas, Griechenland.
VerstĂ€ndlich ist aber, dass mit der spirituellen, mystischen Erfahrung der “Auferstehung” ein neuer Impuls gezĂŒndet wurde. Die Geschehnisse um Pfingsten werden sogar mit “Feuerflammen” geschildert. Es heisst, dass der Geist Gottes ĂŒber die Menge kam. Dieser bewirkte offenbar ein Aha-Erlebnis, aha darum musste es so und so geschehen und vielleicht ja auch die Erkenntnis, dass es nicht um eine politische Revolution geht, sondern um eine quasi Neugeburt des Menschen “mit Kopf, Herz und Hand” oder anders gesagt, mit Leib, Seele und Geist.
Ich meine darum, das Kreuz als Symbol dieses Neuaufbruches oder eben Durchbruches deuten zu können. Ich bin halt auch ein, wenn auch bescheidener Mystiker. Nullpunkte und Krisen enthalten die Chance zu einem Neubeginn, zum Umdenken, zur Neuorientierung. Auf dem Pilgerweg unseres Lebens gibt es diese Höhen und Tiefen. Die Wegkapelle lĂ€dt uns ein, innezuhalten, auszuruhen, abzuschalten und offen zu werden fĂŒr neue KrĂ€fte und neuen Mut, vielleicht auch Demut, fĂŒr eine neue Etappe.
Es kann, aber muss ja nicht gerade der Jakobsweg sein! Zum Beispiel von Merligen ĂŒber Ralligen nach Gunten oder weiter nach Thun oder umgekehrt.
Alle Bilder stammen aus der Fotowerkstatt des Autors.
© Willy Vogelsang, MĂŒnsingen CH